Trump und Giuliani (1)

Vom „Bürgermeister Amerikas“ zur Witzfigur der Nation.

Margrit Bachl
Published in
9 min readFeb 23, 2021

--

Rudy Giuliani, früher geachteter Bürgermeister von New York, wurde im Mai 2018 zu Donald Trumps neuem Anwalt, nachdem sein früherer „Fixer“ Michael Cohen wegen der Mueller-Untersuchung zurückgetreten war. Lesen Sie hier in loser Folge, wie Giuliani seinen guten Ruf unwiederbringlich zerstörte, indem er sich auf Gedeih und Verderb der Sache Trumps verschrieb.

Am 2. Mai 2018 hatte Trumps neuer Anwalt Rudy Giuliani einen bemerkenswerten Auftritt bei Fox News. Das Aufsehenerregendste war, dass Giuliani behauptete, Trump habe das Schweigegeld, das der frühere Trump-Anwalt Cohen an Stormy Daniels (1) bezahlt hatte, in mehreren Raten zurückerstattet. Damit widersprach er den Aussagen Cohens, Trumps und der Pressesprecherin Sanders, die immer behauptet hatten, Cohen hätte das Geld aus dem eigenen Sack bezahlt und Trump habe nichts von der Zahlung gewusst. Offenbar, so die Vermutung einer Kommentatorin, sei er davon ausgegangen, dass die Öffentlichkeit Trumps und Cohens Behauptungen sowieso keinen Glauben schenkte, und dass die treue Trump-Basis sich einen Deut darum scherte, was Trump gemacht oder nicht gemacht hatte. Ob sich Giuliani seine Aussage vorher zurecht gelegt hatte oder ob sie ihm heraus gerutscht war, war nicht bekannt. Auch nicht, ob sie Trump, dem immerhin ein Rechtsverfahren drohte, schaden oder nützen würde. Dem Verdacht, dass es sich beim Zahlen von Schweigegeld um eine illegale Wahlkampfbeeinflussung handeln könnte, versuchte Giuliani entgegenzutreten, indem er sagte, die Zahlung sei aus privaten Gründen erfolgt (um die Affäre vor der Familie geheim zu halten), es habe sich keineswegs um einen Versuch gehandelt, die Wahl zu beeinflussen. Allerdings hatte sich Stormy Daniels offenbar bereits 2011 über ihre angebliche Affäre geäussert. Damals hatte Trump aber kein Schweigegeld gezahlt. Giuliani sagte auch, Trump habe nicht gewusst, wofür die Zahlung war, er habe seinem Ex-Anwalt Cohen freie Hand gelassen. Daniels Anwalt liess verlauten, Cohen und Trump seien Komplizen einer Straftat.

Der Auftritt Giulianis war noch aus anderen Gründen bemerkenswert:

  • Er gab sich als Hardliner, wogegen er früher, als er noch New Yorker Staatsanwalt und Bürgermeister gewesen war, viel gemässigter aufgetreten sei, wie ein CNN-Mitarbeiter sagte, der ihn damals persönlich kannte; es sei enttäuschend, dass Giuliani plötzlich so extreme Ausdrücke verwende (er nannte die FBI-Beamten, die die Durchsuchung der Cohen-Räumlichkeiten durchgeführt hatten, in Anlehnung an die SS einen „Sturm-Trupp“).
  • Er stellte Trump als viel beschäftigten Politiker dar: Trump, so Giuliani, habe keine Zeit für eine dermassen „dreckige Untersuchung“ („garbage investigation“), er müsse sich für die Nordkorea-Gespräche vorbereiten, was viel wichtiger sei. Das Argument des Zeitmangels war allerdings nicht überzeugend: Wie eine Moderatorin ausrechnete, hatte Trump seit seiner Amtseinsetzung 109 von etwas über 460 Tagen auf dem Golfplatz verbracht… Kam dazu: Auch ein US-Präsident stand nicht über dem Gesetz, Nordkorea hin oder her.
  • Giuliani lieferte eine neue Version des Grundes, weshalb Trump Comey gefeuert habe (Trump selbst hatte zwei Gründe genannt: die verpatzte Clinton-E-Mail-Untersuchung und die Russland-Untersuchung). Giuliani sagte, Comey sei entlassen worden, weil er sich geweigert habe, öffentlich bekannt zu geben, dass nicht gegen Trump ermittelt werde. Letzteres stimmte zwar; die Bemerkung diente aber wohl nur dem Zweck zu vertuschen, dass der wahre Grund eben doch die Russland-Ermittlungen Comeys waren.
  • Er nannte ausserdem völlig unrealistische Bedingungen, unter denen Trump vor Sonderermittler Mueller aussagen würde: Das Interview dürfe wie bei Bill Clinton nicht länger als zweieinhalb Stunden dauern, und die Fragen müssten sie vorher schriftlich haben. Eine Kommentatorin meinte, es sei ausgeschlossen, dass Mueller sich solche Bedingungen diktieren lasse. Eine Befragung Trumps werde mindestens 12 Stunden dauern, da die Untersuchung so komplex und verworren sei.

Es war klar, dass Giuliani ausschliesslich zur Trump-Basis gesprochen hatte.

Verschiedene Watchdog-Gruppen reichten Klage bei der US-Wahl-Kommission und dem Justizdepartement ein, weil alles dafür spreche, dass die Schweigegeldzahlungen erfolgten, um die Präsidentschaftswahl zu beeinflussen (Berner Zeitung online vom 3. Mai 2018).

Am Samstag, 5. Mai wurde Trump von Medienleuten gefragt, was er von Giulianis Aussage halte, er habe von der Zahlung an Daniels doch gewusst. Entweder hatten sich Anwalt und Klient nicht abgesprochen, oder beide wussten nicht mehr, worüber sie überhaupt sprachen oder was Sache war (eigentlich war Giuliani engagiert worden, um dafür zu sorgen, dass die Mueller-Untersuchung bald zu einem Ende käme, wie er selbst grossmäulig verkündet hatte) oder es war ein bewusstes Verwirr-Spiel. Jedenfalls sagte Trump: „Rudy ist ein guter Typ, aber wissen Sie, er begann erst gestern, sich mit dem Fall zu beschäftigen, er wird seine Fakten schon noch zusammenbringen.“ Trump sagte weiter, es gäbe da einen Spruch, der laute: „Lerne, bevor du sprichst.“ Dieser Merksatz war auf Giulianis Plauderei bei Fox News gemünzt, obwohl auch Trump profitieren würde, wenn er ihn sich zu Herzen nähme. Dann war aber genug Giuliani-Bashing geäussert, im nächsten Moment bekamen wieder die Medien ihr Fett ab: „Dieses Land läuft gerade so gut! Sie veranstalten aber immer diese Hexenjagden und sprechen nur darüber!“

Giuliani veröffentlichte daraufhin ein Statement, in dem er unter anderem schrieb, was er (bei Fox News) gesagt habe, sei nicht, was er glaube, was Trump gewusst habe, sondern wie er selbst, Giuliani, diese Dinge sehe. Das machte aber alles nur noch wirrer. War etwa auch Giuliani senil (er war über 70)? Man näherte sich unabwendbar dem letzten Gefecht zweier oder dreier alter Männer (auch Mueller war über 70). Ein Kampf der müden Geister.

Jedenfalls meinte ein Moderator von CNN, das Interview mit Giuliani sei eine entsetzliche Sache gewesen. Giuliani habe nicht kohärent argumentiert, was nichts damit zu tun habe, dass er sich zuerst in den Fall einarbeiten müsse.

Jeden Tag ritt sich Trump alias Don Quijote tiefer in den Schlamassel, neuerdings zusammen mit seinem Knappen Giuliani alias Sancho Panza.

Etliche Leute hatten sich schon früher über Giulianis Geisteszustand Gedanken gemacht; zum Beispiel hatte er als einer von ganz wenigen Trump in der Hollywood-Access-Affäre oder „Pussy-Gate“ (2) so lange wider besseres Wissen verteidigt, dass man über so viel treue „Hingabe“ nur noch den Kopf schütteln konnte.

In einem weiteren Interview hatte er gesagt, es sei normal, dass Anwälte Schweigegeld zahlten. Daraufhin widersprach ihm sein eigenes Anwaltsbüro in New York, worauf Giuliani präzisierte, er habe nicht Schweigegeld gemeint, sondern „NDA“ (Non-disclosure-Arrangements = Stillhalteabkommen). Kurze Zeit später schied er aus seiner Anwaltsgemeinschaft aus, ob freiwillig oder nicht, war nicht klar. Das war noch nicht alles: Er hatte sich auch selbst widersprochen, wie CNN zeigte: 1998, als er gefragt wurde, ob ein Präsident vor einer Grand Jury aussagen müsse, bejahte er diese Frage klar: Ein Präsident stehe nicht über dem Gesetz. Vor kurzem hatte er die gleiche Frage verneint; Trump müsse sich das nicht gefallen lassen. Giuliani, so ein Kommentator mitleidig, mache sich vor den Augen der ganzen Welt mit widersprüchlichen und unpräzisen oder wirren Aussagen lächerlich.

Zu einem späteren Zeitpunkt machte Giuliani eine Aussage, die ein Kommentator als „schockierend transparent, aber dennoch falsch“ bezeichnete. Giuliani gab zu, Strategie des Weissen Hauses sei es, die Mueller-Untersuchung zu unterminieren! Das geschehe, um die die öffentliche Meinung darauf aufmerksam zu machen, dass es letztendlich um die Frage gehe, ob Trump impeacht werde oder nicht. Dann wiederholte er, was Trump schon früher gesagt hatte (Giuliani war ein eigentlicher Papagei Trumps): „Der Beginn der Mueller-Untersuchung ist illegitim, weil sie aufgrund eines Lecks von Comeys begann.“ (3) Es war bedenklich, dass Giuliani versuchen wollte, eine legitime Untersuchung zu torpedieren, das Justizdepartement und das FBI zu diskreditieren und sich somit über die Gewaltenteilung und das Rechtssystem der USA hinwegzusetzen. Dass er das Ziel, die Untersuchung zu unterminieren, offen zugab, war eine „Strategie“, die auch Trump oft anwendete: Dadurch dass er offen über eine Sache sprach, verlieh es ihr den Anschein von etwas, das in Ordnung war, sodass niemand ihm unterstellen könnte, er habe etwas Unrechtes oder Illegales im Sinn.

Giuliani diskreditierte sich derweil immer mehr auch selbst; nicht nur war er in der Vergangenheit mehrfach nicht über die Fakten informiert gewesen, er griff auch immer wieder auf unangebrachte Wörter zurück. So nannte er die Mueller-Mitarbeiter eine „Lynch-Truppe“! Und er setzte, arrogant genug, Mueller eine Deadline: Bis Anfang September müsse die Untersuchung abgeschlossen sein — vor den Zwischenwahlen.

Und wieder hatte er einen medienwirksamen Auftritt. Er sagte, es sei unmöglich, einen amtierenden Präsidenten anzuklagen. „Trump kann nicht angeklagt werden, nicht mal, wenn er Comey erschiessen würde“, sagte er grinsend. Der Präsident stehe über dem Gesetz, wenn man ihn anklagen wolle, müsse man ihn zuerst des Amtes entheben. Wie es sich genau verhielt, war unklar, denn es gab widersprüchliche Aussagen zum Thema. Es war aber evident, dass Giuliani mit seinem skandalösen Comey-Beispiel wieder einmal zur Trump-Basis sprach, die er auf eine Anti-Impeachment-Haltung einschwören wollte. Er nahm mehr und mehr die Funktion eines Sprachrohrs ein — auf Kosten seiner Aufgabe als Rechtsberater; er wurde wie sein Vorgänger zum „Fixer“. Diese Anti-Impeachment-Strategie wurde umso wichtiger, als die Zwischenwahlen schnell näher rückten.

Warum äusserte sich Giuliani überhaupt zum Thema der präsidialen Immunität? Weil ein als vertraulich eingestuftes Memo veröffentlicht wurde, das Trumps Anwälte Ende Januar 2018 an Mueller gesandt hatten, in dem sie genau diese Meinung vertraten: Dass ein Präsident absolute Immunität geniesse. Unter anderem schrieben sie, ein Präsident könne die Justiz gar nicht behindern, da er sich sonst selbst behindern würde! Behauptungen, die aufhorchen liessen, da sie bedeuteten, dass es der Präsident war, der bestimmte, was Recht war. Und der also machen konnte, was er wollte. Die Anwälte schrieben zudem, der Präsident könne die Untersuchung beenden oder sich selbst begnadigen! Deshalb, so die Schlussfolgerung, gebe es keine Notwendigkeit, sich den Fragen Muellers zu stellen.

Beim nächsten Fernsehauftritt übertraf sich Giuliani wieder einmal selbst, indem er sagte: „Die Erinnerung wechselt ständig, deshalb sollte Trump bei Mueller nicht aussagen.“ Doch die sich verändernde Erinnerung sei keine Lüge, sondern ein „Fehler“, der passieren könne: „Man kann einen Fehler machen, und wenn es unter Eid geschieht, bezeichnet man es als Lüge“, beklagte er sich. Damit wollte er offensichtlich für den Fall vorsorgen, dass Trump, falls er doch bei Mueller aussagen würde, einer Lüge überführt würde. In der Vergangenheit hatte Trump über vieles gelogen, das Gegenstand von Muellers Untersuchung war. Und zwar über Monate hinweg immer wieder. Natürlich konnte man eine Lüge, die noch und noch wiederholt wurde, nicht zu einem blossen „Fehler“ in der Erinnerung herabstufen.

Am 7. Juni zeigte CNN Ausschnitte von einem Auftritt Giulianis in Tel Aviv. Einmal mehr sagte dieser Mann Skandalöses. Er sprach der Pornodarstellerin Stormy Daniels „wegen ihrer Arbeit“ jegliche Glaubwürdigkeit ab. „Ihr Ruf kann nicht beschädigt werden, da sie keinen hat.“ Sie habe keinen Ruf, „weil sie ihren Körper verkauft“. Daniels ist in den Augen Giulianis kein Mensch mit einer inhärenten Würde, sondern eine wertlose, unglaubwürdige Person. Diese Sichtweise hatten natürlich viele Leute, es war aber fragwürdig und unangemessen, dass der Anwalt eines US-Präsidenten solches verlautbarte. Giuliani, so eine Beobachterin, schwinge sich zu einem moralischen Richter auf, obwohl er selbst kein Vorbild sei: Er habe seine Frau in aller Öffentlichkeit betrogen und gedemütigt; sie liessen sich dann scheiden. Und was war mit den Ex-Frauen Trumps? Auch sie wurden gedemütigt, sogar die aktuelle. Doch Giuliani sagte auf eine Frage: „Melania glaubt ihrem Mann.“ (Dass er sie nicht betrogen hat.)

Interessanterweise liess das Büro von Melania Trump am folgenden Tag verbreiten, Melania Trump habe „mit Herrn Giuliani nie ihre Gedanken geteilt“…

(Juli 2018)

Und Hopps, tauchte Giuliani alias Sancho Panza nach längerer Pause wieder aus der Versenkung auf — wie ein Kasperle aus der Kiste, mit gewohnt flattrigen, bizarren Aussagen. Mueller habe bisher keine Fakten geliefert, es gebe nur den Verdacht auf kriminelle Handlungen. Als ob ein Verdacht kein Grund wäre zu ermitteln, sagte Giuliani: „Ich kann auch nicht meinen Nachbarn anklagen, nur weil er mir nicht gefällt; das ist wirklich, was hier passiert.“ Mueller müsse einen „Evidenzbeweis liefern“, bevor Trump in eine Befragung einwillige.

Natürlich konnte eine Befragung auch durchgeführt werden, ohne dass es schon Beweise gab; eine Vernehmung war dazu da, Verdachtsmomente zu klären, und dass es solche gab, war durch die bereits erfolgten Schuldbekenntnisse und Verurteilungen erwiesen. „So wie Giuliani es darstellt, funktioniert unsere Justiz nicht“, sagte ein Kenner.

(1) Stormy Daniels ist der Künstlername einer Porno-Darstellerin, die behauptete, mit Trump eine Affäre gehabt zu haben, und die von Trump kurz vor der Wahl Schweigegeld erhalten hatte. Sie sollte später ein Buch über ihre Beziehung mit Trump schreiben. Die Zahlung von Schweigegeld könnte eine Verletzung des Wahlgesetzes sein, da es die Wahl unrechtmässig hätte beeinflussen können.

(2) Auf einer Aufnahme aus dem Jahr 2006 (das so genannte „Hollywood-Access-Tape“), die kurz vor der Wahl 2016 veröffentlicht wurde, sagte Trump, als Star könne man sich alles leisten, man könne den Frauen auch zwischen die Beine greifen.

(3) James Comey hatte sich über die Gründe seiner Entlassung einem Freund anvertraut, der diese an die Medien weitergab. Die Folge war, dass Vize-Justizminister Rod Rosenstein einen Sonderermittler ernannte. Comey hatte keine geheimen Dokumente geleakt und wurde für seine Handlung nie verurteilt. Trump bestand aber jahrelang auf dem „illegalen Anfang“ der Mueller-Untersuchung, die er durch diese Behauptung desavouieren wollte.

--

--